Zum Jahresende ist Schluss

Nach 72 Jahren endet die Geschichte des Ford-Autohaus Wagner in Wiesloch

Wenn das Wieslocher Autohaus am 31. Dezember seine Tore für immer schließt, geht eine über 70 Jahre lange Ära zu Ende.

Gegründet wurde das Unternehmen von Ulrike Escherles Großvater August Wagner (1905 – 1987). Er war der älteste von drei Brüdern und Sohn von Peter Wagner. Sein Vater hatte ein Fuhrgeschäft und handelte mit Kohlen und Pferden. Seine Brüder waren Werner und Walter Wagner. Alle drei Brüder sind übrigens Unternehmer in Wiesloch und in Leimen geworden: Werner Wagner war Mitgründer von Kurpfalz-Beton in Leimen und Walter Wagner baute Beton-Wagner in den Talwiesen auf, eine Firma für Betonfertigteile. August Wagner betrieb ab 1934 zusammen mit Werner Wagner ein Fuhrunternehmen. Zwei Jahre später trennten sich die Brüder und August kaufte sich einen Bus und stieg in die Personenbeförderung ein.

Für den Omnibus brauchte August Wagner dann allerdings eine Unterstellmöglichkeit. Er kaufte seiner „Tante“ Frieda Gaberdiel, die die Gaststätte „Zum Erbprinz“ Ecke Hauptstraße/Bahnhofstraße gehörte, den alten Tanzsaal mit der davor liegenden Gartenwirtschaft ab. Der Betrieb lag damals übrigens am Rande der Stadt. Gegenüber befand sich die Post, dann kam der Bahnhof und dort endete dann die Bebauung.

Im zweiten Weltkrieg musste August Wagner samt Bus an die Front. Er kam unversehrt wieder zurück – allerdings ohne Bus. Er stand, wie viele andere auch, erstmal vor dem Nichts.

Stammbetrieb in der Bahnhofstraße. Links der Verkaufspavillon für die Neufahrzeuge, in der Mitte die Werkstätten und rechts Tankstelle und das Gebäude, das ursprünglich den alten Tanzsaal des Hotels Zum Erbprinzen beherbergt hat.

Gründung von Auto-Wagner

Er gründete dann im Jahr 1949 die Firma Auto-Wagner. Anfangs wurden Autos und Kleintransporter von Gutbrod verkauft, dann kamen noch Vertretungen von Hoffmann – die Firma baute Vespa-Motorroller in Lizenz – und Horex dazu.

Wagner wollte sein Geschäftsfeld noch weiter vergrößern und bewarb sich um eine Volkswagen-Vertretung, zog aber gegenüber Heinrich Hofmann, der an der Ecke Schwetzinger Straße/Bahnhofstraße eine Gasolin-Tankstelle betrieb, den Kürzeren. Für August Wagner blieb schließlich nur noch Ford als Hersteller übrig. Er bewarb sich dort als Händler und wurde schließlich Unterhändler von Auto-Joncker in Heidelberg.

Sohn Manfred steigt ein

August Wagners Sohn Manfred machte im Jahr 1959 seinen Meisterbrief und heiratete ein Jahr später seine Frau Gudrun. 1961 kam Sohn Bernd auf die Welt und 1964 dann Ulrike. Im selben Jahr wurde Auto-Wagner schließlich Ford-Haupthändler und die Firma entwickelte sich prächtig. Es standen jetzt viel mehr Neuwagen zur Verfügung, die verkauft werden konnten.

Manfred Wagner war Geschäftsführer der Firma von 1960 bis 2015.

Der Erweiterungsbau entsteht neben der Halle im Jahr 1969. Er wird später Verwaltung, Lager und Service-Annahme beherbergen.

Beginn in der Güterstraße

Das Wohnhaus von August Wagner stand in der heutigen Lempenseite und das Grundstück zog sich bis vor in die Güterstraße. Außen herum hatte er Grundstücke aufgekauft. Dann wurde die Güterstraße als Gewerbegebiet ausgewiesen und erschlossen.

Schräg gegenüber, in der Güterstraße, baute Manfred Wagner dann Ende der 1960er-Jahre eine Halle, in der Autos gelagert wurden.

Der neue Betrieb Anfang 1970 kurz vor der Fertigstellung. Die Güterstraße wurde zu diesem Zeitpunkt erst asphaltiert.

Umzug in den neuen Betrieb

Irgendwann kam der Betrieb in der Bahnhofstraße an seine Grenzen. Eine Erweiterung war hier nicht möglich, und so wurde beschlossen, dass in der Halle in der Güterstraße eine Werkstatt eingerichtet und daneben ein Anbau errichtet wird, in den die Verwaltung einzieht. Kurze Zeit später folgte ein weiterer Anbau und ein Keller, weil das Ersatzteillager zu klein wurde. Der Ausstellungsraum kam schließlich 1987 dazu. Und ab diesem Zeitpunkt wurde alles von der Bahnhofstraße in die Güterstraße verlagert.

Als schließlich die Baustoffhandlung Philipp, die direkt an den Betrieb der Wagners angrenzte, ihr Geschäft aufgab, nutzte Manfred Wagner die Gunst der Stunde und erwarb Teile des Grundstücks. 1997 baute er dann auf dem neuen Gelände einen Übergabe-Pavillon, in dem die Kunden ihr neues Auto in Empfang nahmen. Drei Jahre später, im Mai 2000, zog die neue Volvo-Vertretung in den Pavillon ein.

Im Jahr 1987 kam schließlich noch ein Ausstellungsraum dazu. Ab da wurden noch die restlichen Aktivitäten von der Bahnhof- in die Güterstraße verlagert.

Die Tochter steigt mit ein

Nach ihrem Studium der Betriebswirtschaft in Mannheim bekleidete Ulrike Escherle zunächst verschiedene Stellen in der Automobilindustrie. Dann wechselte sie in die Unternehmensberatung und arbeitete 25 Jahre in der Branche.

Im Jahr 2013 übernahm sie dann auf Bitte ihrer Eltern, Gudrun und Manfred Wagner, Verantwortung im familiären Betrieb. Sie pendelte zuerst zwischen Köln – ihrem bisherigen Lebensmittelpunkt – und Wiesloch hin und her. Doch dann entschloss sie sich, in Wiesloch zu bleiben. Und Anfang 2015 zog sich ihr Vater aus der Geschäftsleitung zurück und sie wurde geschäftsführende Gesellschafterin von Auto-Wagner.

Besuch des damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Ford-Werke AG, Daniel Goeudevert, in Wiesloch.

Viele Investitionen

Ulrike Escherle hatte seit der Übergabe bis heute rund 1,5 Millionen Euro ins Unternehmen gesteckt. Unter anderem wurde das Dach der Werkstatt saniert, eine Waschanlage mit biologischer Wasseraufbereitung installiert und die komplette Elektrik in der Werkstatt erneuert. Die Beleuchtung wurde auf Energiesparlampen umgestellt und auf das Dach der Direktannahme eine Photovoltaikanlage installiert. Dies auch aus der Notwendigkeit heraus, dass der elektrische Anschluss der gesamten Firma zu klein geworden war und eine Erweiterung auf eigene Kosten hätte geschehen müssen.

Auch die fast 30 Jahre alte große Schiebetür vom Verkaufsraum wurde erneuert, die Werkstatt mit einer neuen Absauganlage ausgestattet und der Ausstellungsraum musste vergrößert werden.

Dieselfahrzeuge waren nur noch mit großen Abschlägen zu verkaufen.

Dieselkrise und Pandemie

Die Autobranche veränderte sich in den vergangenen Jahren. Zuerst wurde der Handel von der Dieselkrise getroffen. Autos mit Dieselmotor, die auf dem Hof standen, ließen sich nur mit großen Abschlägen verkaufen, was entsprechend tiefe Spuren in der Bilanz hinterließ.

Dann folgte die Corona-Pandemie mit zwei mehrmonatigen Lockdowns, die einen massiven Einbruch bei den Autoverkäufen zur Folge hatte. Bei Auto-Wagner war auch die Werkstatt betroffen. Bei vielen Firmen saßen die Mitarbeiter im Home-Office, fuhren wenig Auto. Wartungen waren nicht nötig, Schäden kamen seltener vor: Ein Großteil der Autohaus-Mitarbeiter musste in Kurzarbeit geschickt werden.

Dann waren die Lockdowns vorbei, das Konsumklima zog an, auch die Nachfrage nach Neufahrzeugen stieg. Doch Ford konnte nicht liefern – es fehlten unter anderem die nötigen Halbleiter-Chips für die Fahrzeuge, für manche Modelle gibt es Lieferzeiten von 8 bis 10 Monate. Am Ende konnte nur ein Bruchteil dessen, was hätte verkauft werden können, auch ausgeliefert werden.

Sinkende Margen

„Unser Hauptgeschäft ist der Handel mit Neufahrzeugen. Wir könnten verkaufen, der Hersteller kann aber nicht liefern, aber unsere Kosten laufen weiter: Personal, allgemeine Betriebskosten. Das geht auf Dauer schief“, so Ulrike Escherle.

Und die Aussichten für die kommenden Jahre sind rabenschwarz. So läuft unter anderem der Ford Fiesta aus. Ein neues elektrisches Modell, angesiedelt zwischen Fiesta und Focus, soll die Nachfolge antreten, aber erst 2024 vorgestellt werden. „Und bis das auf den Markt kommt wird es erfahrungsgemäß bis zum Jahr 2025 dauern“, so Ulrike Escherle.

Umsatzbringer laufen aus

Dann laufen in den kommenden Jahren auch noch weitere „Brot- und Butter“-Fahrzeuge aus: Der Galaxy, der S-Max und der Mondeo – die Hauptumsatzbringer, weil sie bei Familien sehr beliebt sind und von SAP-Mitarbeitern stark nachgefragt werden. „Und für alles, was an elektrischen Fahrzeugen nachfolgt, zahlt uns Ford nur noch die Hälfte bis zu einem Drittel der Marge, die wir für die großen Autos mit Verbrennungsmotor erhalten haben. Davon können wir nicht mehr leben“.

Hohe Anforderungen des Herstellers

Ulrike Escherle fiel bei Aufräumarbeiten im Archiv der erste Ford-Händler-Vertrag in die Hände. Er umfasste knappe sechs Seiten, und darin musste man zusichern, dass man pro Jahr mindestens ein Auto verkauft und einen Vorführwagen zur Verfügung stellt. Heute haben die Verträge über 100 Seiten und schreiben haarklein vor, wieviel Verkaufsfläche zu Verfügung stehen muss, wieviel und welche Fahrzeuge im Showroom zu stehen haben und dass der Service von 7 bis 19 Uhr werktags und auch samstags bis zum Mittag geöffnet sein muss. „Wir müssen im Service unter der Woche in zwei Schichten fahren, das kostet viel Geld“. Vieles, auch die Werkstatt, werde über die Margen im Neuwagenverkauf querfinanziert. Und wenn da kein Geld mehr verdient wird, gerät das ganze Konstrukt in Schieflage. „Und an diesem Punkt stehen wir gerade“.

Auch am zweiten Standbein von Auto-Wagner, dem Handel mit Ersatzteilen, sägt der Hersteller. „Auch hier erleben wir gerade eine gewaltige Kürzung unserer Margen“. Und mit der steigenden Zahl an Elektro-Fahrzeugen nimmt auch der Bedarf an Ersatzteilen ab.

Systemwechsel fordert Werkstätten heraus

Insgesamt nagt der Systemwechsel vom Verbrenner- auf Elektroantrieb an der Wirtschaftlichkeit der Autohäuser. „Wir haben Elektrofahrzeuge verkauft, die haben wir selten in der Werkstatt gesehen. Und wenn, dann wegen Garantiearbeiten.“ E-Fahrzeuge haben fast keine Betriebsstoffe mehr zu wechseln. Und brauchten vieles nicht, was bei einem Verbrenner sonst für eine Inspektion nötig ist. Auch sonst werden weniger Ersatzteile benötigt. Und Updates der Fahrzeug-Software machen die Hersteller direkt übers Internet.

Stundensätze von 180 Euro?

Elektro-Autos müssen selten in die Werkstatt. Aber wenn sie es dann doch mal müssen, wird es richtig teuer. „Ich schätze, wir werden in naher Zukunft Stundensätze von bis zu 180 Euro sehen“. Die Einrichtung der Elektro-Arbeitsplätze ist kapitalintensiv, und wenn E-Fahrzeuge nur selten in die Werkstatt müssen, werden die Kosten auf die wenigen Stunden, die anfallen, umgelegt. Früher wurde noch über Neuwagenverkauf querfinanziert. Das falle in Zukunft flach.

Suche nach Investor

Seit Anfang des Jahres wurde bei Auto Wagner nach einem Investor Ausschau gehalten. Verhandlungen mit der Emil-Frey-Gruppe (Schwabengarage), standen im Frühjahr kurz vor dem Abschluss, scheiterten aber auf den letzten Metern. Die Betriebsschließung war damit aus Sicht der Geschäftsführung unausweichlich.

Dezember letzter Tag

Am 23. Dezember werden zum letzten Mal Kunden bedient bei Auto-Wagner. „Viele Kunden sind traurig, dass wir ab kommenden Jahr nicht mehr da sind“, so Ulrike Escherle. Und dass ausgerechnet sie und ihr Bruder Bernd die unleidliche Aufgabe haben, das Unternehmen beenden müssen, macht Ulrike Escherle schwer zu schaffen: „Das tut schon weh“.

Nach der Schließung beginnt die Auflösung des Betriebes. „Mein Bruder und ich gehen hier voraussichtlich mit 2 Millionen Euro Schulden raus“, so die Geschäftsführende Gesellschafterin. Ihre Mitarbeiter werden mit einem großzügigen Sozialplan abgefunden, der alleine mit 1,3 Millionen zu Buche schlägt. Und mit dem Geld aus der Verwertung der Grundstücke werden zuerst einmal die Verbindlichkeiten abgedeckt. Da bleibt natürlich auch noch etwas hängen, aber es sei ja nie ihr Plan gewesen, die Firma von ihrem Vater zu übernehmen und nach 7 Jahren zuzusperren. Sie hätte das Unternehmen weitergeführt, wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gestimmt hätten. „Und letztendlich haben wir auch nur solange durchgehalten, weil wir die Grundstücke als Sicherheiten hatten.“

Versteigerung des Inventars

Anfang Januar kommt ein Industrieversteigerer ins Haus, der alles katalogisiert und online stellt. „Unser gesamtes Inventar, angefangen vom Büro-Drehstuhl bis zur Hebebühne, kommt unter den Hammer. Alles muss raus“, so Ulrike Escherle. Der weitere Ablauf wird auf dem Auto-Wagner-Blog und auf Facebook bekannt gegeben.

Die Onlineversteigerung findet dann statt von 24. Januar bis 11. Februar, Abholung ist von 24. bis 26. Februar. Danach werden die Räume vorbereitet für die künftigen Mieter.

Das Gelände hinter der Halle hat sie schon an das Autohaus Ranaldi vermietet, das es als Abstellplatz für Neufahrzeuge nutzt. Mario Ranaldi hat übrigens bei Auto-Wagner gelernt und sich später mit einer Werkstatt selbständig gemacht. Heute betreibt seine Familie ein Hyundai-Autohaus. „Und Ranaldi bekommt Fahrzeuge geliefert. Das kann nur bedeuten, sein Hersteller macht vieles richtig“, bemerkt sie süffisant.

Wie geht es weiter mit meinem Ford?

Hier finden Sie eine Liste von Kollegen, an die Sie sich mit Ihrem Fahrzeug vertrauenvoll wenden können.